"Vom FX Make up zum Oskar"
Interview: Juliane Witten
„Das Bild entsteht immer erst in meinem Kopf. Ich muss das Motiv erst verstehen, bevor ich an die Arbeit gehe. Oft schreibe ich mir Bildideen auf, dann scribble ich schnelle Zeichnungen auf Papier, die je-doch außer mir keiner dechiffrieren kann.“
Der Digitalkünstler Sven Sauer ist ein Parade-beispiel für eine äußerst erfolgreiche Karrie-re als Matte Painting Artist. Angefangen als Make-up-Artist landete der Künstler zunächst in der Werbung um schließlich als Matte Pain-ter, Concept Artist und im Visual Development für Games- und Filme durchzustarten. Nach seiner Mitarbeit an Filmen wie The Fast and The Furious 5 oder Melancholia wurde seine Laufbahn durch den Oskar für den Hollywood Blockbuster Hugo Cabret im Februar 2012 ge-krönt, an dem Sven als Matte Painting Artist für Pixomondo beteiligt war. Im Gespräch mit 2DArtist verrät der Künstler, wie er es so weit gebracht hat.
Hallo Sven, erst einmal herzlichen Glück-wunsch zu dem Oskar für Hugo Cabret. Als Matte Painter bei Pixomondo hast du ja maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen. Was bedeutet dir diese Auszeichnung für die Visual Effects in Hugo Cabret?
Sven: Das ist immer für mich noch immer schwer zu begreifen. Um ehrlich zu sein, war die Verleihung bis zum Schluss ein großes Hoffen und Bangen. Wir hatten un-ser ganzes Herzblut in den Film gesteckt, aber die Konkurrenz war mit Filmen wie Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2 und Planet der Affen: Prevolution in diesem Jahr verdammt hart. Als wir in der Nacht der Verleihung alle gemeinsam im Kino die Öffnung des Umschlags verfolg-ten und das Wort Hugo viel, sind wir auf-gesprungen und haben lauthals gejubelt. Man muss sich das so vorstellen, wie bei einer Achterbahnfahrt: Wenn man oben angekommen ist und die Talfahrt beginnt, ist das keine Freude, die man heraus-schreit, das ist pure Erleichterung. Einfach unglaublich!
Welche Szenen wurden von Pixomondo für Hugo Cabret erstellt?
Sven: Pixomondo hat jede zweite Minu-te des 2-stündigen Filmes bearbeitet. Die Dreharbeiten fanden in einem Londoner Filmstudio statt. Außenaufnahmen gab es nicht. Immer wenn die Häuser von Paris im Film zu sehen sind, wurden digitale Sets eingesetzt. Eine entscheidende Szene, die wir in Stuttgart entwickelt haben, ist die Flucht des Hauptdarstellers auf einen Bahn-hofsturm. Die großen Fenster öffnen den Blick auf ein prachtvoll beleuchtetes Paris bei Nacht. Die Sequenz umfasst insgesamt 43 Shots. Dafür haben wir 12 großforma-tige Matte Paintings entwickelt. Zehn Mat-te Painter haben die Stadt gebaut und 30 weitere haben sie anschließend zum Leben erweckt, also Autos, Schnee, Dampf und Passanten eingesetzt.
Würdest du das als deinen bisher größten Erfolg bezeichnen?
Sven: Natürlich ist das ein gewaltiger Erfolg und es ist eine enorme Motivation, zu wissen, dass sich der ganze Schweiß lohnt, den man in seine Arbeiten investiert.
Tatsächlich fi nden die persönlichen Erfolge bei mir jedoch im Stillen statt. Das sind oft ganz kleine Dinge, z.B. für einen Shot, der für mich am Anfang kaum zu bewältigen schien, plötzlich eine Lösung zu fi nden. Erst sehe ich sie nur verschwommen, dann wird sie immer klarer. Das ist ähnlich wie das Zusammenstecken von Puzzleteilen. Wenn das Puzzle fertig ist, gehe ich sehr oft mit einem inneren Strahlen nach Hause.
Kurioser Weise decken sich meine Lieb-lingsarbeiten meistens nicht mit den Bil-dern, von denen man im ersten Moment glaubt, dass sie meine persönlichen Erfol-ge wären. Für mich ist beispielsweise die zerstörte Stadt aus „Sun Dust“ (Science-Fiction-Film 2008) noch immer ein Bild, an das ich gerne zurück denke. Ich vermute, das liegt daran, dass bei einem Bild oder Matte Painting immer auch die Emotionen des Entstehungsprozesses mitschwingen. Für mich wurde dieses Bild zu einem Wen-depunkt in meiner Berufslaufbahn. Mit die-sem Ergebnis war für mich persönlich in Stein gemeißelt, dass ich Matte Painting Artist sein möchte.
Du hast so viele verschiedene Dinge ge-macht, vom Make-up-Artist bis hin zur Event-Dramaturgie. Wie bist du zum Matte Painting bzw. zu den Visual Effects gekom-men?
Sven: Ich komme ursprünglich aus der Werbung. Vor etwa acht Jahren zog ein befreundeter Regisseur nach L.A., um in der Filmlandschaft Fuß zu fassen. Über ihn lief mein erster Matte Painting Job: Ein Sol-daten-Camp in nebliger Morgenstimmung. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff Matte Painting weitgehend unbekannt, genauso wie die Möglichkeiten, die dieses Medi-um für die Produktion bietet. Der Aufwand für ein digital erstelltes Set ist oft wesent-lich geringer als für konventionell gebaute Filmsets. Nach und nach wurde ich von Produktion zu Produktion weitergereicht und meine ersten Hollywood-Kontakte ent-standen. Allerdings waren diese nicht so glamourös, wie viele vielleicht denken.
Der große Einschnitt erfolgte 2007. Durch Zufall begegnete ich Igor Posavec, der gerade einen Pitch zu dem Computerspiel Perry Rhodan bekommen hatte. Ich machte ihm den Vorschlag, die 3D-Grafi ken des Spiels mit Matte Paintings zu verfeinern. Dadurch hatten wir die Chance, mit einem mittleren Budget eine beindruckende Welt zu schaffen, die sonst nur in hoch dotierten Spielen auftauchen. Matte Paintings waren in der damaligen Games-Landschaft noch kein fester Bestandteil der Produktion. Der Plan ging auf und der grafi sche Erfolg des Spiels führte mich zwei Jahre später zu Pixomondo und in die VFX-Branche. Mein Lebenslauf zeigt, dass einen das Leben im-mer wieder überrascht.
Wie hat sich das Berufsbild eines Matte Painting Artist in den letzten Jahren verändert?
Sven: Ich merke, dass sich die Branche immer stärker wandelt. Die Aufgabenstel-lungen verändern sich. Der Job des Matte Painters und Concept Artists verschmelzen immer stärker miteinander. Wir werden von Jahr zu Jahr immer früher in die Pro-duktionsprozesse mit eingebunden. Mittler-weile erstellen wir auch Layouts für FX-De-partments wie beispielsweise Explosionen, Rauchwolken oder Feuer, wo bis vor we-nigen Jahren noch keine Schnittstellen wa-ren. Ich war beispielsweise Concept Artist für die Explosion des TV-Zweiteilers Hin-denburg. Ich erarbeitete die Struktur und das Scaling der Flammen, des Rauches und der Wrackteile in 2D. Das ist wichtig, um später bei der Animation zielgerichtet arbeiten zu können. Das sind keine zwar typischen Aufgaben eines klassischen Mat-te Painters, zeigt aber, wie vielfältig der Job heutzutage ist. Wie würdest du den Standort Deutschland für den Bereich Vi-sual Effects bewerten im Vergleich zu den USA?
Sven: Der Bedarf an Visual Effects ist zur-zeit so groß, dass viele Blockbuster längst über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus produziert werden. Die größeren VFX-Firmen agieren meist länderüber-greifend. Ich würde daher eher von dem Standort Europa sprechen. London ist ein fester Bestandteil dieser Branche gewor-den. Ob Hugo Cabret, The Dark Knight, Inception, Harry Potter, John Carter oder Prometheus: Europa hat längst bewiesen, die Qualität der Hollywood-Produktionen halten zu können.
Arbeitest du lieber im Team oder allein?
Sven: Die Frage ist einfach zu beantwor-ten. In der VFX-Branche gibt es keine Einzelkämpfer. Jeder Shot ist immer das Resultat von vielen Künstlern. Ich zeichne eine Stadt, anschließend geht diese an die 3D-Abteilung und wird auf Geometrie pro-jiziert. Eine weitere Abteilung analysiert die Bewegungen des Original-Materials vom Dreh, damit unsere digitalen Erweite-rungen täuschend echt eingebaut werden können. Ein weiteres Department kümmert sich um die Effekte und wieder ein ande-res um Animationen und so weiter. Das erklärt auch die langen Abspanne mit all den seltsamen Berufsbezeichnungen. Meist arbeiten an einem Matte Painting mehre-re Künstler und das ist auch wichtig für die Qualität des Bildes, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Produktionen, die über lange Zeiträume laufen, lassen einen irgendwann erblinden. Das ist völlig nor-mal. Eine zweite Person kann dann sehr hilfreich sein. Für Neueinsteiger ist das oft befremdlich, jedoch Branchen-Realität.
Arbeitest du noch mit Bleistiftskizzen, wenn es um das Entwickeln erster Motivideen geht?
ven: Ich gehe sogar noch einen Schritt zurück: Ich schreibe, um zu sehen, was ich denke! Das ist bei mir bis heute ein-gebrannt. Das Bild entsteht immer erst in meinem Kopf. Ich muss das Motiv erst verstehen, bevor ich an die Arbeit gehe. Oft schreibe ich mir Bildideen auf, dann scribble ich schnelle Zeichnungen auf Pa-pier, die jedoch außer mir keiner dechif-frieren kann. Erst, wenn das Bild in mei-nem Kopf sichtbar ist, öffne ich Photoshop. Dadurch wird das Malprogramm lediglich zu einem Werkzeug, wie ein Pinsel oder Bleistift.
Wie viel künstlerische Freiheit bleibt dir beim Visualisieren von Ideen?
Sven: Matte Painter haben in der Filmbran-che einen interessante Ausnahmestatus. Meist gestalten sie die sogenannten Esta-blisher einer Szene. Die großen Totalen, also Kameraaufnahmen, die den Ort des Geschehens einführen: z.B. einen Flug über eine Stadt oder eine Vulkanland-schafft bis zum Horizont. Der Elfenbein-turm in dem Film Die unendliche Geschich-te aus dem Jahr 1984 ist immer noch einer der schönsten Establisher, die ich kenne. Heute noch bekomme ich eine Gänsehaut, wenn die Sonne hinter dem Turm aufgeht. Tatsächlich wurde die gesamte Landschaft auf eine Glasscheibe gemalt. Der beein-druckende Sonnenaufgang war eine Glüh-birne, die hinter der Scheibe hochgezogen wurde. Simpel, aber in der Wirkung toll. Diese Establisher sind sehr wichtig für die Emotionen des Films und für den Regisseur selbst. Oft arbeiten wir persönlich mit den Regisseuren zusammen, um deren Vision zu verstehen. Das ist aufregend und wir haben die Möglichkeit, an der Entstehung der Bildwelt teilzuhaben.
Kannst du Berufl iches und Privates gut trennen oder siehst du in jeder Landschaft ein potentielles Matte Painting?
Sven: Oft sehe ich tolle Bilder, die die Natur zaubert. Ich bin jedoch noch nie in die Verlegenheit gekommen, zu versu-chen, daraus ein Matte Painting zu malen. Ich werde auch oft gefragt, ob mir Matte Paintings in Filmen auffallen. Die Antwort ist Nein. Das Kino hat für mich nichts an Faszination verloren. Es dauert nur wenige Minuten und ich bin komplett in der Hand-lung versunken. Über die Technik dahinter denke ich dann nicht mehr nach. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich diesen Job mache - ich kann mich voll-ständig in die Phantasiewelt fallen lassen.
Du hast mit 32 Jahren schon viel erreicht. Würdest du dich als Workaholic bezeich-nen?
Sven: Keineswegs - ich bin auch kein Freund von Wochenend- oder Nachtar-beiten. Denn das ist nur ein Zeichen, dass zuvor die Planung nicht funktioniert hat. Erfahrungen und vor allem ein gutes Team helfen, dass so etwas nicht nötig wird.
Was war bislang deine größte Herausfor-derung?
Sven: Ich glaube in der stecke ich zurzeit mittendrin. Nach vier Jahren Filmarbeit werde ich mich diesen Sommer für vier Monate zurückziehen und zusammen mit Igor Posavec eine Idee verwirklichen, die seit einiger Zeit in unseren Köpfen geistert. Wir wollen eine Serie an Bildern entwi-ckeln, die auf optischen Illusionen beru-hen. Basierend auf der Romanvorlage Don Quichotte werden Motive entstehen, in der abwechselnd zwei unterschiedlich Bilder gesehen werden können. Erste Versuche haben wir bereits an Plakatmotiven für die Veranstaltung Halloween getestet. Je nach Betrachtung ist eine Anzahl von Monstern oder ein leuchtender Schädel zu erkennen. Das ist ein Spiel mit der Vorstellungskraft des Betrachters. Allerdings ist das auch verdammt schwer, da völlig anders an ein Bild herangegangen werden muss. Gestal-terisch bringt uns das Konzept an unsere Grenzen - aber das macht ja auch den Reiz daran aus.
Vielen Dank Sven. Wir wünschen dir für die Zukunft alles Gute und weiterhin so viel Erfolg!
Interview: Juliane Witten